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Menschen, die bewegen -

die Gesprächsreihe endet,

die Erinnerungen bleiben.

 

   

Das Rote Sofa – eine Wegstrecke, die prägt

Anmerkungen zu einem etwas speziellen Gesprächskonzept

„Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen“ – dieser Satz von Franz Kafka fiel mir ins Leben zu einem Zeitpunkt, wo ich ganz besonders intensiv spürte, dass Zeit war für Neues, für Anderes. Beruflich wie privat. Es war Ende der Neunziger Jahre. Ich war Redakteurin mit Faible für Wissenschaft und Politik sowie Mutter zweier großartiger Söhne. 

Plötzlich zeigten sich Türen, die zugleich ein Rahmen sein könnten für ein Konzept, das ich lange schon in mir trug: Was bewegt Menschen, was prägt sie, was treibt sie um, dass sie Besonderes schaffen, Außergewöhnliches bewirken? Wo erlebten sie Grenzen, erfuhren Rückschläge, rappelten sich auf? Wie ging es ihnen auf den Gipfeln ihrer größten Erfolge – und wie, als sie am Boden lagen? Was half ihnen auf? Personenreportagen, live, doch in intimer Öffentlichkeit sollten es sein; das Gespräch, nicht die Animation, nicht der 30-Sekunden-Schlagabtausch müsste den Mittelpunkt bilden. Hintergründe, Reflexionen, Meinungen, Haltungen der Gäste sollten im Vordergrund stehen, aber auch die Leichtigkeit des Seins, die einem nur bleibt, wenn man bei aller Unbill nie den Humor verliert. Die Moderation sollte auf verschiedene Pfade im Leben des Gastes führen, zugleich aber das Publikum durch einleitende Sachstandsberichte jeweils ins Bild setzen.  

Ein verwegenes Vorhaben in Zeiten, wo allseits gepredigt wird, Menschen wollen nur Häppchenkost, Unterhaltung, Action.

Im Herbst 1998 eröffnete der Kulturclub „Rätschenmühle“ das Kulturzentrum Schlachthof. Der Club gehörte in Geislingen zu einer festen Institution; mir war seine Arbeit bestens vertraut, zumal ich den Kulturteil der Regionalzeitung, der Geislinger Zeitung, verantwortete. Der Club zog um, weil im alten Domizil die räumlichen und finanziellen Bedingungen zusehends schlechter wurden, und hatte das Glück, als eine der letzten Einrichtungen in Baden-Württemberg von entsprechenden Fördermitteln für soziokulturelle Zentren zu profitieren. 

Die neuen Clubräume schienen mir ideal, das Talkprojekt auszuprobieren. Das Bild war da: ein rotes Sofa – gemütlich, schlichtes Design, klare Formen – Rot, weil das neben Schwarz und Weiß meine Lieblingsfarbe ist; Rot, weil diese Farbe Präsenz, Lebendigkeit, Kraft und Stärke ausstrahlt. Drei Mal wollte ich solche Gespräche führen, es einfach mal wagen und schauen, was wächst. An Längeres, gar an eine längere Serie solcher Gespräche, wagte ich gar nicht zu denken.

Ingrid Steiner, die Chefin des Kulturclubs, war sofort begeistert. Ihr Team zog mit. Der Club-Nachbar, Inhaber eines Möbelgeschäfts, hatte ausgerechnet in seinem eher soliden Sortiment ein Designermöbel, das genau passte, und bot einen ebenso verwegenen Deal an: Er würde sein Sofa jedes Mal bringen und wieder holen. Drei Mal hin, drei Mal her.

99 Mal hin, 99 Mal her wurde die tatsächliche Bilanz des Möbelrückens. Das Publikum fand fast über Nacht Interesse und Freude an dieser Art Talk – gut 20 000 Zuschauer wurden es letztlich. Darunter Stammpublikum, das aus diesen Anlässen überhaupt den Weg ins Kulturzentrum Schlachthof fand; Leute, die bis aus Hamburg anreisten, um in Geislingen Xavier Naidoo mal auf ein paar Meter Entfernung zu sehen... – die Nähe war für viele das Besondere. Schnell war akzeptiert, dass weder der Besuch von Gregor Gysi, der mit zehn Minuten den „Ausverkaufs-Rekord“ hält, noch der von Reinhold Messner oder von Manfred Rommel einen Umzug in die Stadthalle oder einen anderen größeren Saal rechtfertigten. Die Intimität, die Nähe, wäre so zur üblichen Beliebigkeit, zur fernsehähnlichen Distanz zerronnen.

Rückgrat der ganzen Gesprächsreihe war eben dieses Publikum: Menschen, die sich für andere Menschen interessierten, die bereit waren, hinzuhören und neue Seiten an anderen zu entdecken, eigene Bilder von anderen zu revidieren oder sie zu bestärken. Sie bestätigten zugleich die Überzeugung, ein solches Projekt ließe sich gezielt in der „Provinz“ ansiedeln und eben nicht nur an den „üblicherweise verdächtigen“ Orten in größeren Städten.   

Sie erlebten Menschen aus verschiedenartigen Wirkungsfeldern – Künstler wie Wolfgang Dauner und Marcia Haydee, Forscher wie Jens Reich, Mojib Latif und Niels Birbaumer, den Astronauten Ulrich Walter, den Mediziner Dietrich Grönemeyer, Extremisten wie Hans Kammerlander und Jochen Hasenmeyer, ganz spezielle Journalisten wie Marianne Koch, Amelie Fried, Klaus Bednarz, Dirk Sager und Theo Sommer; Sportler wie Georg Hackl und Karl Allgöwer, Politiker wie Renate Schmidt und Annette Schavan, Günter Oettinger, Lothar Späth und Ernst-Ulrich von Weizsäcker, Menschen mit Wurzeln in der Region wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und Schauspieler Martin Semmelrogge...  

Der Erfolg des Konzept schuf Anlass zu wandern – Geislingen sollte die Wurzel bleiben; in Uhingen und Salach, aber auch in Stuttgart sollten „Ableger“ gepflanzt werden, die spezifisch sein konnten: Literaten wie Walter Kempowski in Stuttgart, Abenteurer wie Arved Fuchs in Uhingen, Ökonomen wie Guy Kirsch in Salach. Es begann vielversprechend, war durch berufliche und private Veränderungen aber rasch unmöglich; das Rote Sofa wurde auf das Kernkonzept zurückgeschnitten. 

„...und sticht und sticht und sticht.“ – was für das Quilten gilt, trifft für manches zu, was auf dem Roten Sofa gesprochen wurde: Nicht nur Patchwork-Fans wie Heide Simonis kennen diese Nadelstiche und spürten sie am eigenen Leib. Bei jedem Talk-Gast, den ich moderierte, sitzt ein Stachel in der Seele, nicht bei jedem hingegen so tief wie bei Heide Simonis, dem 99sten und letzten Gast. Tränen steigen ihr in die Augen, als die Rede auf die Abwahl als Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein kommt. Und ein Glanz, erzählt sie von der Arbeit als Chefin von Unicef-Deutschland, für die sie in die ärmsten Länder reist, um wenigsten etwas die Not dort lindern zu helfen. Rund dreißig Jahre zuvor machte die Volkswirtin in solchen Gegenden – parallel mit ihrem frisch angetrauten Ehemann – erste berufliche Schritte...

Rund neun Jahre nach dem ersten Sofa-Gespräch spürte ich wieder ganz deutlich das Gefühl, es sei Zeit für Neues, Zeit, Raum frei zu geben für neue Herausforderungen. Ich schrieb allen Förderern der Talkreihe meinen Entschluss: Nach 99 Gesprächen, am 29. März 2007, sollte Schluss sein. Schluss mit dem Roten Sofa in dieser Form.

Sie alle – Unternehmer aus der Region, die einen ausgeprägten Sinn haben für Kultur und offen sind für Dialog und menschliche Begegnungen - gaben der Reihe, was sie brauchte: Finanziellen Rückhalt, um Betriebskosten, Webpflege, Marketingkosten, Honorare und sofort zu bezahlen. Die Eintritte hätten die Kosten nie decken können. Rolf Nau, damals Direktor der Kreissparkasse, machte den Anfang: Sein Haus wolle unterstreichen, dass dieses Gesprächsprojekt vital sei gerade für eine Region, in der so mancher zusehends eine depressive und resignierte Stimmung feststellte.  

Porträts und Gespräche sind mir generell in meinem Beruf  als Journalistin wie auch persönlich ein besonderes Anliegen. Menschliche Begegnungen, Dialoge von Menschenseele zu Menschenseele, von Herz zu Herz, zünden so manches Mal unschätzbare „magic moments“ – auf dem Sofa und im Publikum, sie schaffen Wärme und Nähe, berühren.

Das Rote Sofa ist besetzt, die Idee lebt weiter. Waltraut Foissner, die lange Jahre die Veranstaltungen betreute, verabschiedet mich mit dem Satz, mit dem ich vieles begann:

Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen.“

 

Ihre

 

Marlis Prinzing

 

 
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Über den Schluss der Reihe berichtete auch die Stuttgarter Zeitung am 26. März 2007 unter dem Titel "Die moderne Nomadin sagt den Sofagesprächen Ade"
 

Die Gastgeberin im Gespräch mit

Dietrich Grönemeyer,

 
 
 

... Xavier Naidoo,

 
 
 

... Heide Simonis,

 
 
 

... Wolfgang Dauner,

 
 
 
 

... Annette Schavan,

 
 
 
 

... Günter Oettinger,

 
 
 
 

... Martin Semmelrogge,

 
 
 
 

... Hans Kammerlander,

 
 
 
 

... Heiner Geissler,

 
 
 
 

... Hans Küng.

 
 
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